Die EU-Taxonomie verordnet es, der Klimawandel macht es dringlicher denn je: Sylvia Lier, Expertin für Personenmobilität und Transformation, erklärt uns, wie wir es schaffen, auch bei der betrieblichen Mobilität umzudenken und CO2 zu reduzieren.
Frau Lier, „Atomkraft, nein danke“ – hieß es seit den 70ern an vielen Stellen. Kommt jetzt der Aufkleber „Auto, nein danke?“
Lier: Ich würde es lieber positiv formulieren. Mobilität? Ja, bitte! Ich finde es wichtig, dass wir viel weniger Autofokussiert unterwegs sind und stattdessen multimodale Mobilität nutzen – also Mobilität, die sich aus ganz verschiedenen Mobilitäts- oder Verkehrsmitteln zusammensetzt. Dazu zählt natürlich der ÖPNV, aber auch Sharing-Angebote, das Fahrrad und im Grunde auch der Fußweg. Je flexibler und vielfältiger man all das nutzt, desto umweltfreundlicher. Es bringt aber auch nichts, Autos per se zu verteufeln. Dadurch bauen wir nur Fronten auf. Das passiert ja aktuell schnell, wie man an der Dienstwagen-Debatte sieht. Ich bin dafür, dass es attraktive Alternativen zum Auto gibt. Aber wer sich trotzdem – meistens sogar allein – hinters Steuer setzt, der kann das auch weiterhin tun.
Was braucht es denn, damit es attraktive Alternativen zum persönlichen Auto gibt?
Die Basis ist erst einmal ein guter ÖPNV. Mit einem engen Takt und verlässlichen Zeiten. Für einen alltäglichen multimodalen Verkehr, der genauso bequem oder sogar bequemer ist als das eigene Auto, braucht es aber mehr: eine gute Fahrradinfrastruktur sowie Sharing-Angebote. Die Sharing- Angebote können wir uns als komplementäres Mobilitätsprodukt zum ÖPNV vorstellen. Mal für die erste oder letzte Meile, mal ganz bewusst anstelle des öffentlichen Verkehrs. Je nach Situation und Bedarf.
Und wie sieht das in Unternehmen aus? Was ist zum Beispiel mit den Leuten, die einen Dienstwagen haben? Sie sind führende Expertin für das Thema Mobilitätsbudget – ist das Budget die Lösung für Unternehmen?
Ja, ganz genau. Ein Mobilitätsbudget ist ein Betrag, den Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden für verschiedene Mobilitätsformen zur Verfügung stellen. Mit diesem Betrag können die Mitarbeiter:innen die private Nutzung verschiedener Mobilitätsangebote bezahlen bzw. ihre Kosten intern mit ihrem Arbeitgeber abrechnen. Dazu gibt es zwischenzeitlich eine Reihe professioneller Lösungsanbieter. Mobilitätsbudgetswerden heute als Alternative zum Dienstwagen angeboten oder z. B. als pauschaler Gehaltsbestandteil zur Incentivierung nachhaltiger Pendelmobilität.
Was gehört denn üblicherweise in so ein Budget? Können Sie ein Beispiel geben?
Ja, natürlich. Grundsätzlich hängt das natürlich erst mal von der Höhe des Budgets ab. Ersetzt es einen Dienstwagen oder ist es nur ein kleinerer Teil des Gehalts. In den meisten Fällen stellt das Verkehrsmittel Bus oder Bahn die Basis dar, z. B. als Monatsabo oder BahnCard. Viele Unternehmen haben außerdem Angebote für das Leasing sog. Diensträder. Sharing-Angebote gehören genauso dazu. Auch Auto-Abos können Teil eines Mobilitätsbudgets sein. Wenn Unternehmen ihrer gesamten Belegschaft Mobilitätsbudgets als Pendlerpauschale anbieten, ist der Betrag geringer. Häufig sind solche Angebote mit finanziellen Anreizen verbunden, anstelle des Autos z. B. das Rad für den Weg zur Arbeit zu nehmen oder Fahrgemeinschaften zu bilden.
Viele Menschen würden gerne mit Bus und Bahn zur Arbeitsstelle kommen. Aber es fehlt oft die Anbindung auf der sogenannten letzten Meile. Haben Sie praktische Tipps?
Ich sehe, dass sich immer mehr Unternehmen mit dem Thema „letzte Meile“ beschäftigen und die Problematik auch aktiv angehen. Wenn die letzte Haltestelle zu weit vom Firmenstandort entfernt liegt, kann das Unternehmen ggf. gemeinsam mit den Vertretern der Kommune und von Dienstleistern überlegen, ob man Mieträder oder E-Scooter aufstellt, die dann für die letzte Strecke genutzt werden können. Sofern sich die Kommunen an derartigen Lösungen finanziell nicht beteiligen, kann zumindest vereinbart werden, dass entsprechende Flächen für das Abstellen der Räder etc. zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten für die Mieträder müsste in dem Fall das Unternehmen tragen. Ich kenne mehrere Unternehmen, die solche Lösungen bereits in die Umsetzung gebracht haben. Eines davon ist die Provinzial Versicherungsgesellschaft in Münster, die eine solche Lösung mit den Sharing-Anbietern tretty (Räder) und wuddi (E-Autos) umgesetzt. Und damit sich die Mitarbeitenden zu diesen Angeboten schnell einen digitalen Überblick verschaffen können, wurde außerdem eine App eingeführt. Andere Unternehmen schaffen z. B. sog. Carpools an – Fahrzeuge, die von mehreren Menschen mithilfe einer App problemlos genutzt werden können. Diese Fahrzeuge helfen natürlich nicht bei der Problematik erste/letzte Meile. Aber sie können dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden kein eigenes Auto anschaffen müssen.
Wenn Unternehmen ihre betriebliche Mobilität nun multimodaler und damit nachhaltiger gestalten wollen – was empfehlen Sie ihnen?
Unternehmen brauchen dafür Know-how und personelle Ressourcen. Ein betriebliches Mobilitätskonzept ist erst einmal mit einem Füllhorn verschiedener Themen verbunden, in die man sich einarbeiten muss. Ich empfehle im ersten Schritt deshalb immer, Leute zu holen oder zu beauftragen, die das Thema professionell in die Hand nehmen können. Erfahrene Projektleiter:innen oder betriebliche Mobilitätsmanager:innen, wie sie z. B. die IHK ausbildet. Die sind im Thema, kennen den Markt und können schnell von der Theorie in die Praxis transferieren. Und im zweiten Schritt? Eine Bestandsaufnahme, und zwar zahlenmäßig. Die Unternehmen sollten einen Dienstleister beauftragen, der anhand einer sogenannten Heatmap Daten zu den Wohnorten und Pendelwegen der Belegschaft zusammenstellt. Auf dieser Basis werden theoretische Pendeloptionen mit dem Auto, dem Fahrrad, dem ÖPNV oder mit Fahrgemeinschaften dargestellt. Anschließend kann das Unternehmen entscheiden, welche Mobilitätslösungen es ggf. besonders unterstützen möchte. Zusätzlich können Incentives aufgesetzt werden, die Menschen motivieren, z. B. häufiger mit dem Rad zur Arbeit zu kommen. Diese Bestandsaufnahme bietet einen relevanten Messpunkt für den Mobilitätsmix – den nennt man übrigens Modalsplit – beim Pendeln oder auch für die geschäftlichen Reisen. Diese Zahlen werden zukünftig sehr wichtig sein. Warum werden diese Zahlen wichtig? Die neue EU-Taxonomie-Verordnung besagt, dass alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden zukünftig in ihrem Geschäftsbericht, dort konkret im Lagebericht, zu ihrer betrieblichen Mobilität im Scope 3 berichten müssen – neu ist dabei der Bericht über das Pendelverhalten der Belegschaft. Und es ist sicherlich davon auszugehen, dass sich Shareholder, Ratingagenturen und andere diese Positionen genau anschauen werden. Kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, in Sachen Nachhaltigkeit mit „mangelhaft“ abzuschließen.
In wessen Verantwortung sehen Sie die Mobilitätswende?
Das können wir nur gemeinsam schaffen. Wir brauchen dazu verschiedene Akteure, die ihre jeweiligen Perspektiven teilen. Städte oder Kommunen sprechen dazu idealerweise mit den Unternehmen und auch mit den Dienstleistern. Wenn multimodale Mobilität in die Umsetzung kommen soll, gehören viele an einen Tisch. Toll ist, wenn dann eine gemeinsame Idee entsteht, wie die Mobilität für Arbeitnehmer: innen und Bürger:innen der Stadt aussehen soll. Mobilität gestaltet man eben am besten gemeinsam.
Vielen Dank für das Gespräch.